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Putin kann die Welt nicht aussperren

Selten haben ein paar deutsche Klein- und Mittelstädte die Möglichkeit, in der internationalen Politik mitzumischen. Die 16 „Lutherstädte“ hatten sie. Seit 1996 vergeben sie gemeinsam einen Preis für „Das unerschrockene Wort“. Der Preis ist mit 
10.000 Euro nicht sehr großzügig dotiert und findet normalerweise nicht viel Beachtung. Die Bürger und Bürgerinnen der beteiligten Städte dürfen Vorschläge machen. Es gibt da keinen Andrang. In Wittenberg gab es bis kurz vor Einreichungsende keinen Vorschlag, bis dann eine Angestellte der Stadt Pussy Riot benannte. Wahrscheinlich kein Zufall, dass gerade eine Frau auf diese Idee kam. Die angeklagten drei Mitglieder der Band mussten sich gerade in Moskau vor Gericht verteidigen und machten das sehr mutig. Wie Chodorkowski in seinen Prozessen hinter Gitter vor das Gericht gestellt wurde, wurden die Pussy Riot-Mitglieder in einem Glaskasten dem Gericht präsentiert. Das sollte wahrscheinlich als staatliche Schutzmaßnahme vor Fanatikern erscheinen. Der Glaskasten stellte die Frauen ins Schaufenster.

Honoratiorenprotest

Da der Vorschlag der Stadtangestellten der einzige blieb, nahm die Sache über Beschlussantrag der Stadtverwaltung an den zuständigen Hauptausschuss ihren Gang und die Stadt Wittenberg hatte ihre   Preis-Kandidatinnen für das unerschrockene Wort. Sobald die Entscheidung bekannt wurde, erhob sich der Protest einiger Stadtratsmitglieder und vor allem gewichtiger protestantischer Honoratioren. Friedrich Schorlemmer, langjähriger Prediger an der Wittenberger Schlosskirche und   Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, erklärte gegenüber der Leipziger Volkszeitung, dass es ein „verheerendes Zeichen“ wäre, „wenn mit Pussy Riot der Vorschlag unserer Stadt den Sieg für den Lutherpreis tragen würde.“ 

Dabei war Schorlemmer selbst, als er einmal Schwerter zu Pflugscharen schmieden ließ, politischem Happening gar nicht abgeneigt. Mutig war das auch. Freilich wurde die Handwerksordnung eingehalten, es agierte ein echter Schmied und alles war hoch pathetisch mit lodernder Flamme vor dunklem Nachthimmel. Frech wie Pussy Riot war es nicht. Und die Frechheit ist der Anstoß. So erklärte der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Wittenberger Stadtrat: „Die Nominierung dieser Damen ist eine Schande für Wittenberg und für die gesamte Christenheit.“ Man müsse ja den Namen der Band dieser „Damen“ nur mal „exakt übersetzen“, meinte Friedrich Schorlemmer. „Gern doch“, nahm sich Martin Kamman als Kommentator in Die Welt (9.10.) der Sache an: „Muschi-Krawall oder Mösen-Randale“. Dass damit gängige Chauvi-Ansichten   ironisch konterkariert werden, war Schorlemmer gar nicht aufgefallen.

Mit Richard Schröder meldete sich ein weiterer Grande des Protestantismus zu Wort. Er war selbst 1996 der erste Preisträger. Zwar sei die Strafe gegen die jungen Frauen ungerecht, doch sei dieses „Punk-Gebet“ (igitt) „erst einmal eine pubertäre Geschmacklosigkeit.“ Pussy Riot verdiene Mitgefühl und Beistand, aber keinen Preis: „Opfersein ist kein Verdienst, Opfersein adelt nicht.“ Aber wenn frau wegen einer mutigen Aktion Opfer wird? Die Nobelpreisjuroren hatte es jedenfalls nicht abgehalten, Liu Xiaobo den Friedensnobelpreis zu verleihen, weil er zum Opfer der Strafjustiz geworden war. Sein mutiges Vorpreschen mit „Charta 08“ war übrigens auch nicht unumstritten, weder unter chinesischen Oppositionellen noch unter ausländischen Beobachtern.

Es zeigt sich ein bisschen Biedersinn, wenn Magdeburg seinen Vorschlag zurückziehen musste, weil Waltraud Zachhuber, die als dortige Dompredigerin 1989 Anteil an der friedlichen Revolution hatte, allein schon durch die Nominierung von Pussy Riot eine „entscheidende Veränderung“ des Gedankens, „der dem Preis zugrunde liegt‘‘, gegeben sah.

Frauen und Außenseiter verstehen die Chance

Kurz vor der Entscheidung der Jury sah sich Robert Leicht, ein weiterer Großprotestant, in der Pflicht, schon eingangs seines Artikels im Tagesspiegel (5.11) an den Paragrafen 167 des deutschen Strafgesetzbuches zu erinnern, der jeden, der „an einem Ort, der dem Gottesdienst einer Religionsgemeinschaft gewidmet ist, beschimpfenden Unfug verübt“, mit einer Gefängnisstrafe von bis zu drei Jahren bedroht. Damit scheint er nahezulegen, dass es sich bei dem Auftritt in der Moskauer Kathedrale um einen Fall gehandelt haben könnte, der in Deutschland unter diesen Paragrafen fallen würde, um Unfug eben, der sich gegen die Religionsgemeinschaft richtet. Der Andeutung wird dann die Spitze genommen: „Die Opfer einer Unrechtsjustiz verdienen unseren Beistand auch dann, wenn sie selber unrechtmäßig gehandelt haben sollten.“ Man müsse aber das „Reiz-Reaktions-Schema“ einigermaßen sorgfältig durchdenken. „Jedenfalls wird der ursprüngliche ‚Reiz‘ nicht schon dadurch (nachträglich) legitimiert oder gar der Bewunderung würdig, dass die ‚Reaktion‘ darauf völlig maßlos und illegitim ausfällt.“ Die „Unerschrockenheit“ vor Herrschaft und Macht ist eben nicht „eo ipso“ preiswürdig. Die Entscheidung scheint auf eine Geschmacksfrage hinauszulaufen, wie Richard Schröder schon andeutete.

Die Frauen hätten sich inzwischen ja für das Sakrileg ihrer Aktion entschuldigt, meint Robert Leicht. Haben sie nicht. Die im Berufungsverfahren freigesprochene, weil gar nicht direkt beteiligte Pussy- Riot-Aktivistin Jekaterina Samuzewitsch sagte dazu: „Wir haben die Christ-Erlöser-Kathedrale, die wichtigste Kirche des Landes, ja bewusst gewählt, um die enge Verbindung von Kirche und Putin anzuprangern“. Das sei kein Fehler gewesen. Die unheilvolle Verbindung von Orthodoxie und Putin wird auch hierzulande noch bewusst werden. Die Pussy-Riot-Angeklagten würden jedoch verstehen, dass Gläubige den Auftritt als Beleidigung empfinden können. Und „dafür entschuldigen wir uns“, sagt sie: „Wir haben aber kein Verbrechen begangen.“ Auf der ebenfalls kurz vor der Jury-Entscheidung zu Ende gegangenen Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland sollen Kirchenvertreter gemahnt haben, man dürfe die orthodoxe Kirch nicht vergrätzen und überhaupt dürfe die Verletzung eines religiösen Raums nicht belohnt werden. Die Frauen Katrin Göring-Eckardt und Margot Käßmann blieben wohl ziemlich allein bei ihrem Eintreten für die Band. Es sei doch ziemlich luthergemäß und preiswürdig, wenn das Band-Mitglied sage: „Das Christentum, wie ich es verstehe, unterstützt die Suche nach Wahrheit“, hatte Synoden-Präses Katrin Göring-Eckart zu Bedenken gegeben. Für Heiner Geißler hatte von Anfang an festgestanden: „Jesus wäre an der Seite von Pussy Riot.“

Den Preis bekommt jetzt eine Regensburger Gastronomen-Initiative: „Keine Bedienung für Nazis“. Das ist auf jeden Fall politisch korrekt. Die Entscheidung sei „nach einer sehr qualifiziert und sachlich geführten Diskussion einstimmig gefallen“, teilt die Lutherstadt Eisleben mit. Immerhin war die Jury, der die (Ober-)Bürgermeister von Augsburg, Coburg, Eisenach, Eisleben, Erfurt, Halle, Heidelberg, Magdeburg, Marburg, Nordhausen, Schmalkalden, Speyer, Torgau, Wittenberg, Worms und Zeitz angehören, bereit anzuerkennen, dass alle fristgemäß eingereichten Vorschläge „statutkonform und respektabel“ waren. Die Wittenberger müssen sich also nicht mehr schämen. Schade aber, dass eine große Chance einer Außenpolitik von unten vertan wurde. Die Preisvergabe an Pussy Riots hätte den staatlich verwalteten Petersburger Dialog der Zivilgesellschaften vielleicht aufgemischt. 

Putin fürchtet den Kosmopolitismus

Putin weiß genau, dass Pussy Riot mit ihren feministisch-punkigen Aktionen Zugang zu einer Weltsprache gefunden hat, was man von der Protestbewegung generell nicht ohne weiteres sagen kann. Das macht Pussy Riot wirklich gefährlich. Sie machen die Welt neugierig auf das, was sich in Russland abspielt und zugleich holen sie mit ihrem Auftreten die Welt nach Russland hinein. Mit ihren Gesten und ihrer Gebärdensprache sind sie Teil eines kosmopolitischen Kommunikationsprozesses. Man versteht sie überall und in ihrem Charme und ihrer grazilen Bewegung sind sie so leicht nicht abzutun als Sektiererinnen.

Putin, der Staatspräsident mit dem aufgeblasenen Gehabe des aufgestiegenen Jungensgangführers, spürt genau wie ihm diese Sprache gefährlich werden kann. So griff er im öffentlichen Gespräch mit Angela Merkel vor den Teilnehmern des Petersburger Dialogs zur glatten Lüge, um der Band ihren Zugang zur aufgeklärten Welt zu verminen. Ob die Kanzlerin denn wüsste, dass eine Sängerin der Band eine „jüdische Vogelscheuche“ aufgehängt und verkündet habe, dass diese Leute „raus aus Moskau“ müssten. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Deutschland Antisemitismus unterstützen will“. Und plötzlich hätte es so ausgesehen, „als säßen die Aktivistinnen nicht wegen ihrer Anti-Putin-Aktion in der Moskauer-Christi-Erlöser-Kathedrale im Gefängnis, sondern wegen Rassenhass“, schreibt Daniel Brössler (SZ 17.11.) Natürlich wusste Angela Merkel nichts von einer solchen Aktion. Es gab sie nie außer in Putins dreister Behauptung. Aber Merkel konnte diese Behauptung natürlich nicht aus dem Stegreif beweiskräftig zurückweisen. Und schon ist die Behauptung in der Welt. Die Methode solch dreisten Lügens aus dem Hinterhalt ist aus Hahnenkämpfen unter Bandenchefs geläufig. Auf offener Bühne unter Staats- und Regierungschefs ist sie eher unüblich.

Putin hatte in seiner Rede bei der abermaligen Übernahme der Präsidentschaft betont, die nächsten Jahre seien entscheidend, um die Führung in Eurasien zu übernehmen und zum Gravitationszentrum dieses gesamten Raumes zu werden. Da hat er sich viel vorgenommen. Er wird froh sein müssen, wenn es ihm gelingt, Russland zusammenzuhalten. Dabei setzt er ganz auf das alte autoritäre Modell, das er mit Gewalt zu festigen sucht. Doch es ist schwierig an der Welt teilzuhaben und sich gleichzeitig gegen sie abzuschließen. Pussy Riot ist ein Auftauchen von Welt in Russland. Man kann die Welt nicht aussperren, indem man sie einsperrt. Schade, dass die „Lutherstädte“ sich nicht getraut haben, mit der Verleihung des Preises Für das unerschrockene Wort diese Botschaft an der Kremlmauer anzuschlagen.